Alles über Faszientraining
Funktionen, Bedeutung und effektive Übungen für ein gesundes Bindegewebe
von David Klinkhammer, 05/24, Lesezeit: 4 Minuten
Der menschliche Körper in seiner Anatomie ist beeindruckend und ein Meisterwerk der Mechanik. Er weist eine derartige Komplexität auf, dass es vermutlich noch viele Jahre benötigen wird, hinter jede Funktion zu steigen. Prominentestes Beispiel ist das Thema Faszien. In der Medizin wurden diese lange Zeit eher als passives, strukturelles Gewebe des Körpers angesehen.
In den letzten 20-30 Jahren jedoch wurde die Forschung intensiviert und insbesondere dem myofaszialen Netzwerk unseres Körpers eine hohe Bedeutung zugeschrieben. Erfahre in diesem Artikel, wie Faszien verkleben und Verklebungen wieder gelöst werden können, welchen Einfluss Deine Fußsohle auf Deine Nackenschmerzen haben könnte, welche Rolle Faszien bei der Übertragung von Bewegungsenergie spielen, welche zentrale Rolle sie bei Muskelkater einnehmen, wie sie Dein Stresslevel reduzieren können und wie Du ohne ein Gym täglich Deine Faszien trainieren kannst.
Was sind Faszien?
Faszien sind kollagenhaltige Bindegewebsstrukturen. Neben den Fibroblasten, welche das Kollagen bilden, enthalten Faszien Wasser, das mit Nährstoffen und etlichen Klebstoffen durchsetzt ist. Dies macht Faszien elastisch und gegeneinander verschiebbar. Faszien umschließen Muskeln, Knochen, Organe und Nerven und bilden komplexe Netzwerke untereinander. In der Faszien-Forschung spricht man gerne von einem Tensegrity Modell, was übersetzt so viel heißt wie: „ganzheitliches Spannungssystem“. Verändern sich Druck und Spannung an einer Stelle, hat das direkte Auswirkungen auf die Integrität des kompletten Systems. Daher ist es wenig verwunderlich, dass etwa die Behandlung der sich unter der Fußsohle befindlichen Plantarfaszie direkten Einfluss auf körperferne Region nehmen kann. Daher lohnt es sich bei Bewegungseinschränkungen und Schmerzen immer einen Blick auf das gesamte System zu werfen.
Um eine strukturelle Vorstellung der Faszie zu erlangen, lässt sich das faserige Bindegewebe mit der weißen fadenartigen Struktur, dem Mesokarp, welche das Fruchtfleisch eine Zitrusfrucht umschließt, vergleichen. Ähnlich wie bei einer Orange schützen Faszien das darunter liegende Fleisch und geben unseren Organen ihre charakteristische Form.
Wie Faszien funktionieren: ein Blick unter die Oberfläche
Die Faszie, als ein von allen Strukturen getrenntes System zu bezeichnen wäre verkehrt, weswegen der Begriff Faszientraining irreführend ist. Beim Faszientraining handelt sich um keine noch nie da gewesenen Trainingsinnovationen. Auf der anderen Seite sollte das Training der Faszie nicht nur auf den Einsatz von Schaumstoffrollen reduziert werden.
Um zu verstehen, wie die Faszie bestmöglich in das Training einbezogen wird, ist es zunächst wichtig ihre Aufgaben zu verstehen. Denn anders als bei der Zitrusfrucht kommen der Faszie neben einer formgebenden Funktion noch weitere wichtige Eigenschaften zu.
- Sinnesorgan: Faszien sind in der Lage, Reize wahrzunehmen, um diese an das zentrale Nervensystem (ZNS) rückzukoppeln. Oberflächliche Faszien sind in der Lage Temperatur, Druck und Bewegung wahrzunehmen. Tiefliegende Faszien werden propriozeptive Eigenschaften zugeschrieben. So spielen sie eine wesentliche Rolle dabei, das ZNS über Lage und Position des Körpers zu informieren, woraus spezifische Handlungsaktionen entstehen, wie etwa das Halten des Gleichgewichts bei dem Gang über eine unebene Fläche.
- Schmerzwahrnehmung: Fasziengewebe enthält 6x mehr Nervenendigungen als das Muskelgewebe, welches sie umgibt. Spannend hierzu sind u.a. Forschungen, die den Muskelkaterschmerz diesen Nervenendigungen im Fasziengewebe zuschreiben. Der Grund sind Schwellungen des Bindegewebes und den dadurch entstehenden Druck auf die Schmerzrezeptoren im Fasziengewebe.
- Kraftübertragung: Die durch die Muskelkontraktion generierte Bewegungsenergie wird neben den Sehnen über Faszien auf das Skelettsystem und somit die bewegungsdurchführenden Elemente, den Gelenken übertragen. Faszien übernehmen hierbei circa 30 % der Kraftübertragung. Betrachten wir uns noch mal das Tensegrity Model, kann diese Übertragung nur dann effizient vonstattengehen, wenn es an keiner Stelle der Bewegungskette zu Einschränkungen kommt.
- Teil des Immunsystems: Das mit Flüssigkeit gefüllte Bindegewebe mündet ins Lymphsystem, durch das Stoffwechselabfallstoffe von der Zelle abtransportiert werden. Dies sollte im besten Fall auch mit dem Blutgerinnungsfaktor Fibrinogen geschehen. Kommt es jedoch zu einem Lymphstau, entsteht aus Fibrinogen Fibrin, welches bei der Wundheilung eigentlich die Aufgabe hat, die Wunde zu verkleben. In diesem Falle verklebt die Faszie in Form von sogenannten Cross-Links, was Zugkraft und Flexibilität einschränkt und zudem Nervenendigungen triggert, was wiederum zu Schmerzen führt.
- Das Fasziengewebe erfüllt zudem eine wichtige Funktion als Barriere, die das Eindringen von Fremdkörpern mechanisch verhindert. Andererseits beherbergt es sogenannte Makrophagen, die Teil des Immunsystems sind. Diese Fresszellen haben die Fähigkeit, pathogene Mikroorganismen und Gewebereste enzymatisch abzubauen.
Faszientraining: Mehr als nur Schaumstoffrollen
Aus den Faszien und ihren Funktionen ergeben sich Trainingsmethoden, die neben den belebenden Elementen durch die Behandlung mit der Faszienrolle die Themenbereiche dehnen, spüren und federn umfassen. In dieser Reihenfolge:
- Beleben: Hierbei handelt es sich um einen myofaszialen Release mithilfe von Bällen oder Schaumstoffrollen. Diese Selbst- bzw. Faszienmassage führt zu einer verstärkten Durchblutung im Bindegewebe durch die Freisetzung von Stickstoff, welches schließlich zur Gefäßerweiterung führt. Außerdem werden freie Radikale, welche Bindungsstellen zwischen den Faszien bilden und die Faszien daran hindern, Wasser zu binden, förmlich weggeschwemmt und die „Wasserbindungsstellen“ wieder freigelegt. Die parallele Produktion von Hyaluron unterstützt diesen Bindungsprozess.
- Dehnen: Mobility Flows (bspw. der Sonnengruß) und generell Bewegungskopplungen, welche verschiedene Bewegungselemente und -ebenen miteinander verbinden, führen langfristig zu einer „Lösung von faszialen Verklebungen“ und einer Erweiterung unserer Beweglichkeit.
- Spüren: Propriozeptives Training zielt darauf ab, den Körper aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Faszien als Sinnesorgan werden so sensibler für äußere Reize. Körperwahrnehmung und Bewegungsqualität verbessern sich. Einbein-Stände mit Bewegungskopplungen durch das Spielbein, oder die Arbeit mit instabilen Unterlagen sind hierfür förderlich. Dies lässt sich beispielsweise durch Sitzen auf instabilen Unterlagen oder dem Barfußgehen über unebenen Untergründen in den Alltag integrieren.
- Federn: Insbesondere Sprünge, wie Squat-, Drop- oder Counter-Movement Jumps, sind neben allen Formen von Kicks und Punches zu nennen. Beim Federn geht es darum, Energie durch eine „Vordehnung“ zu speichern, um diese dann ähnlich wie eine Sprungfeder in eine unmittelbar schnelle und kraftvolle Gegenbewegung zu übertragen.
Insbesondere die Bereiche beleben, dehnen und spüren, lassen sich in den Alltag integrieren und in kleinen Pausen auf der Arbeit durchführen. Sprünge lassen sich mit einem Seil, beim Laufen unter zusätzlicher Integration von Lauf-ABC Übungen in das Workout aufnehmen.
So kannst Du die Übungen in Dein Training integrieren:
Faszination Faszien – ein Fazit
Die Erforschung der Faszien hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht und ihr enormes Potenzial für die Gesundheit des menschlichen Körpers aufgezeigt. Diese faserigen Bindegewebsstrukturen, die unseren gesamten Körper durchziehen, spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewegung, der Schmerzwahrnehmung, der Kraftübertragung und sogar im Immunsystem.
Das Faszientraining, das darauf abzielt, die Faszien zu beleben, zu dehnen, zu spüren und zu federn, bietet eine Vielzahl von Vorteilen für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Von der Faszienmassage mit Schaumstoffrollen über Mobilitätsübungen bis hin zu propriozeptivem Training und Sprüngen gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Faszien zu trainieren und ihre Funktionen zu optimieren.
Die Integration dieser Trainingsmethoden in den Alltag kann zu einer verbesserten Beweglichkeit, einer besseren Körperwahrnehmung und einer insgesamt gesteigerten Leistungsfähigkeit führen. Durch regelmäßige kurze Übungseinheiten können wir dazu beitragen, fasziale Verklebungen zu lösen, die Durchblutung zu verbessern und das Risiko von Verletzungen zu verringern.
Insgesamt zeigen die Forschungsergebnisse, dass das Verständnis und die gezielte Pflege unserer Faszien einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden leisten können. Indem wir die Bedeutung der Faszien in unser Training und unsere tägliche Routine integrieren, können wir dazu beitragen, unseren Körper optimal zu unterstützen und langfristig gesund zu halten.
Du möchtest noch mehr zu dem Thema erfahren? Matthias und David haben das Thema Faszien in unserem Podcast Bizeps & Bananenbrot tiefer beleuchtet.
Über David Klinkhammer:
David Klinkhammer ist mit seinem Hintergrund als Sportwissenschaftler (B.A.), Fitness- und Athletiktrainer sowie Ernährungsberater, Tutor & Dozent an der Deutschen Sportakademie. Hier betreut & begeistert er die Studenten zu Themen wie Trainingsplanung- und Steuerung, Fitnesstraining in der Praxis, zielgruppenspezifische Trainingsplanung im Cardiotraining und Motivationstraining im Personal Training.
Als leidenschaftlicher Sportler und selbstständiger Fitnesstrainer bietet er Bootcamps und Athletiktrainings in Köln an. Abschalten kann er am besten beim Kochen, bei dem er seine kulinarische Inspiration überwiegend von den vielen Reisen durch Europa und Asien hernimmt.