Zusammenspiel Fitness & Musik
Mangelndes Fitnesstraining bei Berufsmusikern
von Personal Trainer Student Andreas Hering
Entspannt guter Musik zu lauschen ist zweifellos ein Hochgenuss für Körper und Geist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Musik live, professionell und auf hohem Niveau dargeboten wird.
Musik auf der Bühne zum Klingen zu bringen und einem Publikum zu präsentieren, ist ein unvergleichlicher und magischer Moment. Es ist ein Ziel, für das viele Berufsmusiker von Kindesbeinen an unzählige Stunden, Tage, Monate und Jahre ihres Lebens am Instrument verbringen und opfern.
Berufsbedingte Krankheiten durch fehlende Fitness
Der Beruf des Musikers hat jedoch neben vielem Wunderbaren und seiner Einzigartigkeit auch seine Schattenseiten. Die Berufsgruppe der Musiker ist besonders krankheitsgefährdet. Berufsbedingte gesundheitliche Beschwerden beklagen rund dreiviertel der in Deutschland lebenden Berufsmusiker.
Die Liste möglicher berufsbedingter gesundheitlicher Schäden ist lang:
- Schäden am Bewegungssystem/Haltungsschäden
- Psychische Belastungen/psychosomatische Beschwerden (Auftrittsangst)
- Neurologische Probleme (Nervenengpasssyndrome, fokale Dystonie)
- HNO-ärztliche Probleme
- Lippen- und Zahnprobleme
- Hautärztliche Probleme (Kontaktallergien)
Die körperlichen und psychischen Belastungen professioneller Musiker sind hoch. Oft beginnt schon in frühester Kindheit, spätestens mit dem Schulbeginn, die Ausbildung am Instrument. Stundenlanges Üben neben dem Schulalltag unter Leistungsdruck gehört zum Alltag für junge Musiker. Zunehmende schulische Belastungen gehen einher mit einem sich steigernden Überpensum und höchsten Ansprüchen. Neben der Schule finden intensive Wettbewerbsvorbereitungen für Musikwettbewerbe als Grundlage für die spätere Karriere statt. Die körperlichen und seelischen Belastungen sind vergleichbar mit denen von Hochleistungssportlern.
Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied zu der Karriere eines Leistungssportlers. Gehört die Begleitung durch Physiotherapeuten, Mentaltrainer, Psychologen, Personal Trainer und Mediziner in der Regel zum Alltag eines Sportlers auf hohem Niveau dazu, ist sie in der Ausbildung und im Werdegang junger Musiker eher die Ausnahme.
Zwar gibt es eine Vielzahl von Bewegungs- und Entspannungsangeboten, die sich gezielt an junge Musiker richten. Bei Meisterkursen und anderen Fort- und Weiterbildungsgelegenheiten für Musiker gehören Yoga-Einheiten und auch Pilates-Stunden oft dazu. Die hohe Zahl berufsbedingter Krankheitsbilder bei Berufsmusikern spricht dennoch für sich. Mit auffallend großem Abstand an der Spitze finden sich Störungen und Beschwerden am Bewegungs- und Stützsystem.
Aus meiner langjährigen Erfahrung als Berufspianist mit internationaler Konzerterfahrung und Unterrichtstätigkeit an Musikhochschulen und Musikschulen muss ich leider sagen: Kein Wunder!
Ganz offensichtlich mangelt es in der Ausbildung von Weltklasse-Solisten und Top-Musikern an der professionellen Anleitung für ein systematisches und planmäßiges Training des eigenen Körpers. Er bildet die Grundlage für das schmerzfreie und gesunde Leben und Agieren auf und neben der Bühne.
Das Perfektionieren der Fertigkeiten auf dem Instrument und die damit verbundene einseitige Ausrichtung des Lebens auf das Erreichen von Spielfertigkeiten auf allerhöchstem Niveau prägen von Kindesbeinen an den Tagesablauf. Die Ausbildung eines belastbaren, trainierten und starken Körpers als Grundlage für ein gesundes Leben als Musiker fehlt dagegen oft vollständig.
Körperliche Haltung am Beispiel eines Geigers
Das Geigenspiel bringt zahlreiche prädisponierende Faktoren für Schäden am Bewegungs- und Stützsystem mit sich.
Der Geiger verrichtet oft stundenlang isometrische Haltearbeit. Die hierzu nötigen Energie- und Kraftreserven sind ohne eine gezielte Stärkung der entsprechenden Muskulatur nicht ausreichend vorhanden. Schmerzen und langfristige Schäden im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule und im Schultergürtel sind die Folge.
Das Geigenspiel bedingt eine leichte Rotation der Halswirbelsäule nach links und die damit verbundene unnatürlich asymmetrische Körperhaltung. Hinzu kommt die starke Supination des linken Unterarms und der Hand in Verbindung mit dem Halten des Instruments in isometrischer Anteversion. Der rechte Arm hält den Bogen und vollführt sowohl isometrische Haltearbeit als auch dynamische Muskelarbeit (Abduktion des rechten Armes, Flexion und Extension im Ellenbogengelenk). Besonders der Schultergürtel und die Rumpfmuskulatur sind folglich erheblichen mechanischen Belastungen ausgesetzt, da diese Haltung ein Leben lang viele Stunden am Tag eingenommen wird.
Wichtig anzumerken ist, dass eben diese Haltung nicht im Sinne einer sportlichen Übung eingenommen wird, sondern die Grundhaltung für komplexeste und sehr feinmotorisch, präzise Vorgänge in oft hoher Geschwindigkeit darstellt. Die Anforderungen an Präzision, an die inter- und intramuskuläre Koordination und an die Reaktionsgeschindigkeit sind sehr hoch.
Man muss kein Orthopäde oder Facharzt für Musikermedizin sein um zu erkennen, dass hier eine Reihe prädisponierender Faktoren für muskuläre Dysbalancen, Verspannungen, Funktions- und Strukturstörungen vorliegen.
Man könnte nun auf die naheliegende Idee kommen, es sei hilfreich beim Üben ab und zu die Seite zu wechseln um die Belastung durch das Geigenspiel besser zu verteilen. Das ist gut gedacht, aber leider unmöglich. Die feinmotorischen und koordinativen Abläufe sind zu komplex. Es wäre wesentlich aussichtsreicher einen Linkshänder zu bitten ab sofort mit rechts zu schreiben.
Sportliche Angebote für Musiker
In vielen Kursen für junge Musiker habe ich verschiedene Arten erleben können spielbedingten Erkrankungen und Beschwerden präventiv und therapeutisch zu begegnen. Wie bereits oben erwähnt gibt es Angebote verschiedener Entspannungstechniken wie der Alexandertechnik, Feldenkrais, autogenes Training oder auch Yoga und sogar Pilates. Bewegungsangebote wie gemeinsame Tischtennispartien oder das Fußballspielen nach der Probe finden zusätzlich ihren Eingang in viele Lehrgänge für talentierte junge Musiker.
All diese Angebote sind sinnvoll, auf ihre Weise erprobt und durchdacht. Sie machen Spaß, helfen Stress abzubauen und bieten einen wichtigen Ausgleich. Wird jedoch ein Geiger auf diese Weise langfristig Haltungsschäden, orthopädische Störungen am Bewegungssystem und schlimmstenfalls eine Berufsunfähigkeit verhindern können?
Voraussetzung für schmerzfreies Geigenspiel ist neben einer guten Haltung eine starke, stabile und gut trainierte Rumpf- und Core-Muskulatur in Verbindung mit einem belastbaren Schultergürtel.
Nicht nur aus Sicht eines Personal Trainers ist hier ein regelmäßiges, planmäßiges, langfristig angelegtes, strukturiertes und in der Belastung musikergerecht gesteuertes Krafttraining unabdingbar. In Phasen einer hohen Konzertdichte ist eine Anpassung des Trainings nötig, um auf der Bühne schmerzfrei, locker und ohne körperliche Einschränkungen inspiriert Musik machen zu können.
Es wäre beispielsweise wenig sinnvoll am Vortag eines Konzertes ein intensives Training des Schultergürtels und der Rückenmuskulatur durchzuführen.
Da sich aber bereits kleinste Veränderungen des Muskeltonus und der Gelenkfestigkeit auf das Spielgefühl, den Klang und die Selbstwahrnehmung beim Spielen auswirken, ist eine bewusste Trainingssteuerung und -planung in Kombination mit sensibilisierenden Übungen zur Körperwahrnehmung und bewussten Entspannung unabdingbar.
Musikerspezifisches Personal Training
Die Grundlage für eine fundierte Arbeit mit einem Berufsmusiker bildet wie bei jedem anderen Kunden ein Gesundheitscheck und eine Anamnese der allgemeinen körperlichen Verfassung. Eine besondere Bedeutung kommt hier dem Bewegungs-Screening mit dem Instrument zu. Zum ersten Personal Training Termin sollte ein Musiker sein Instrument mitbringen. Der Trainer kann sich ein bestmögliches und authentisches Bild davon machen, welche Muskelgruppen besonders beansprucht werden, wo Verspannungen entstehen und welche Bewegungsmuster in das folgende Training einfließen sollten.
Charakteristisch für den Beruf des Musikers sind die oft außergewöhnlichen und ungeregelten Arbeitszeiten. Ein freies Wochenende findet sich in den Terminkalendern eines konzertierenden Künstlers selten und Konzerte finden meistens abends statt. Dazu kommen oft lange Reisezeiten und häufige Ortswechsel. Für die Planung des individuellen Fitnesstrainings stellen diese Umstände eine besondere Herausforderung dar. Wie bereits erwähnt, kann ein intensives Krafttraining für den Oberkörper in zeitlichen Zusammenhang mit einem mehrstündigen Konzert kontraproduktiv sein. Oft folgt jedoch ein Konzert auf das nächste – tagelang ganz auf das Training zu verzichten, wäre wenig hilfreich.
Individuelle Trainingspläne
Die Lösung liegt in individuell auf die Arbeitsbelastung abgestimmten Trainingsplänen. Der geschickte Wechsel von linearer Trainingsperiodisierung zu einer wellenförmigen Periodisierung ist hier eine mögliche Option.
In Vorbereitung auf eine Tournee ist eine lineare Trainingsplanung sinnvoll, ähnlich der Vorbereitung auf einen fest terminierten sportlichen Wettkampf.
Auf Konzertreisen ist eine wellenförmige Periodisierung mit flexibel wechselnden Trainingsintensitäten die beste Trainingsmethode. Hier ähnelt der Alltag eines Musikers dem eines Mannschaftssportlers in einer Wettkampfphase.
Beim Üben auf dem Instrument sind Berufsmusiker Experten. Das tägliche Übe-Programm ist in der Regel schon von Kindheit an verinnerlicht. Ich kenne das Gefühl selbst: Mehrere Tage hintereinander ohne das Instrument zu verbringen fühlt sich merkwürdig und unvollständig an.
Die Entwicklung und Verinnerlichung einer Trainingsroutine und einer täglichen Pflege des Spielapparates, also der Muskulatur, sollte Ziel des Personal Trainings für Musiker sein.
So kann beispielsweise ein individuell gestaltetes 15-minütiges Workout mit einem einfach zu transportierenden Trainingsgerät, wie einem Set Resistance Bändern, gut in den Tournee-Alltag integriert werden. Bedingung für eine solche Trainingsroutine ist die unkomplizierte und ortsunabhängige Durchführbarkeit. Jedes Hotelzimmer und jeder Backstage Bereich muss für eine solche Routine ohne Weiteres geeignet sein. Übungen mit Gewichten oder nur umständlich zu transportierbaren Trainingsutensilien sind ungeeignet. Ideal sind Übungen mit dem eigenen Körpergewicht oder leichten Geräten wie Bändern oder Gewichten, die ohnehin vorhanden sind wie Koffer oder Rucksack. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.
Nutzen digitaler Formate im Personal Training
Die kontinuierliche individuelle 1:1 Betreuung durch den Personal Trainer garantiert den Trainingserfolg. Schwieriger wird diese persönliche Betreuung auf Konzertreisen. Nicht jeder Musiker wird sich einen Trainer leisten können, der sie auf ihren Reisen begleitet.
Um ein regelmäßiges gemeinsames Training gewährleisten zu können, sind Online 1:1 Trainings eine gute Lösung. In einer digitalen Trainingseinheit kann der Trainer neue Impulse und Anregungen geben, wie in wechselnden Umgebungen (Hotelzimmer, hoteleigener Fitnessraum im besten Fall, Übungszimmer) bestmöglich trainiert werden kann.
Starkes Rückgrat & mentales Traiing
Konzerte, Prüfungssituationen und Belastungen durch den Alltag eines Musikstudiums stellen nicht nur erhebliche körperliche, sondern auch mentale und psychische Belastungen dar. Ein starkes Rückgrat ist ein Ziel des professionell geführten Krafttrainings und der Arbeit an der körperlichen Fitness. Sicher ist jedoch, dass der stärkste Muskel nichts bringt, wenn der Kopf nicht mitmacht. Körper und Geist lassen sich nicht trennen. Ein gutes Körpergefühl und ein belastbares, starkes körperliches Gerüst ist die Grundlage für mentales Wohlbefinden und Selbstvertrauen. Um psychischem Druck, möglicher Auftrittsangst oder Versagensängsten bestmöglich zu begegnen, ist konkretes mentales Training ein wichtiger Bestandteil musikerspezifischen Fitnesstrainings. Auch hier ist das Entwickeln mentaler Routinen ein wichtiges Ziel. Zunächst geht es beim mentalen Grundlagentraining um das Vermitteln verschiedener Entspannungsverfahren.
Der Bodyscan ist hier sinnvoller Ausgangspunkt. Das Erlernen einer bewussteren Körperwahrnehmung bildet die Grundlage für das Erlernen verschiedener Entspannungstechniken bis hin zum autogenen Training. Insbesondere in zeitlicher Nähe zu Konzerten macht mentales Training in einer Personal Training Einheit Sinn, da es das Konzertergebnis erheblich positiv beeinflussen kann.
Fazit
Musik zum Leben zu erwecken und sie erleb- und hörbar zu machen setzt Kraft voraus. Sowohl mental, als auch körperlich. Sie auszubilden und zu trainieren, sollte in der Ausbildung junger Musiker spätestens ab Studium einen festen Platz einnehmen. Für Musiker ist es wichtig, technische Grundlagen auf ihrem Instrument zu beherrschen. Gleichermaßen sollten körperliche Grundlagen gepflegt und ausgebildet werden. Entspannungsübungen und Yoga-Einheiten sind sinnvoll und wichtig. Genauso wichtig ist es, die Muskulatur zu stärken und zu kräftigen. Das langfristige Erlernen und saubere Ausführen grundlegender Kraftübungen, ein Squat, ein Deadlift, ein Pull-Up oder ein Push-Up, sollten auf dem Tagesplan eines jeden Musikers stehen. Ein individuell gestaltetes und vielseitiges Fitnesstraining durch die Betreuung eines Personal Trainers führt zu körperlicher Unbeschwertheit, Schmerzfreiheit und zu mehr Kraft, auf und neben der Bühne.
Würden an Musikhochschulen ausgebildete Personal Trainer beschäftigt werden, ließe sich ein Großteil berufsbedingter Krankheiten, Schäden und Beschwerden beheben und vor allem verhindern, daran besteht kein Zweifel.
Podcast: Bizeps & Bananenbrot
#26: Musik & Fitness
Passend zu diesem Blogbeitrag haben sich Tutor & Dozent David Klinkhammer und Dozent Matthias Keutmann der Frage gewidmet: Musik hören beim Laufen oder Krafttraining - förderlich oder hinderlich?