Die Magie des Yin Yoga
Wie Du von der speziellen Yogapraxis profitieren kannst
Von Annika Klein, 02/23, Lesezeit: 5 Minuten
Eine regelmäßige Yin-Praxis hilft Dir, mit Deinem Körper in Kontakt zu treten, Dich in ihm zu zentrieren und ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln (Feeling Sense). Vielleicht kennst Du diese Momente, wenn Stress oder Überforderung dazu führen, dass Dich Gedanken und Gefühle überwältigen, Du aus Deinem „Zentrum“ fällst, nicht mehr klar denken kannst und es Dir schwerfällt, vernünftige Entscheidungen zu treffen? Die Arbeit mit Deinem Körper bietet Dir eine alternative Möglichkeit, mit den Emotionen umzugehen, indem Du wahrnimmst, wo und wie Du sie in Deinem Körper spürst und anschließend den Raum erweiterst, eine Entscheidung zu treffen, wie Du reagieren möchtest…
Yin Yoga erfreut sich wachsender Beliebtheit – und das aus gutem Grund:
Unsere moderne Welt ist stark geprägt vom Yang: Stress, Hektik und Leistungsdruck dominieren unseren Alltag. Das kann uns sowohl ins physische als auch psychische Ungleichgewicht bringen und auf Dauer krank machen. Um in allen Bereichen unseres Lebens einen gesunden Ausgleich zu finden, ist es wichtig, mit uns selbst und unserer Umwelt in Einklang zu kommen: Dazu braucht es sowohl Yin als auch Yang.
Die Bezeichnung „Yin Yoga“ leitet sich von dem chinesischen Yin & Yang Prinzip ab. Diese Philosophie beschreibt Yin und Yang als zwei entgegengesetzte Kräfte, die miteinander im Einklang stehen und nicht ohneeinander existieren können. Bestimmt hast Du direkt das kleine, runde, schwarz-weiße Symbol (chinesisch: Taijitu) vor Augen: Der schwarze Bereich steht für Yin, der weiße Bereich für Yang. Auf jeder Hälfte ist ein kleiner Teil der anderen Hälfte wiederzufinden.
Tag und Nacht, Sonne und Mond, Himmel und Erde, Sommer und Winter, hart und weich, aktiv und passiv - das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass Yin und Yang unzertrennlich miteinander verbunden sind. Das Yin repräsentiert dabei die ruhige, weiche und passive Energie, Yang den harten, dynamischen und aktiven Gegenpart. Auf unseren Körper bezogen steht Yang für die Muskulatur, Yin für das Bindegewebe wie Sehnen, Bänder und Faszien.
Was ist Yin Yoga?
Den Yoga-Schriften zufolge gibt es Yin Yoga wahrscheinlich schon seit ein paar Tausend Jahren. In einer der ältesten Schriften, der „Hatha Yoga Pradipika“ wurden nur weniger Yogapositionen beschrieben, davon waren je eine Hälfte dem Yang-Prinzip und die andere Hälfte dem Yin-Prinzip zugeordnet. Erst Mitte der 80er Jahre brachte Paulie Zink den ruhigen und passiven Yogastil in die westliche Welt. In den darauffolgenden Jahren entwickelten Sarah Powers und Paul Grilley diesen Yogastil weiter, verliehen ihm seinen Namen und machten ihn zu dem, was er heute ist: eine ruhige und meditative Achtsamkeitspraxis mit dem Ziel, Yin und Yang auf körperlicher und geistiger Ebene ins Gleichgewicht zu bringen. Dabei geht es weniger um Muskelkraft und Dynamik, sondern vielmehr um das bewusste Erspüren, Beobachten und Zulassen von (Körper-) Empfindungen, die während der Praxis auftauchen.
Anders als gewohnt werden die Asanas (Körperpositionen) im Yin Yoga lange und passiv über einen Zeitraum von 3-7 Minuten gehalten. Passiv bedeutet, dass Positionen nur so weit eingenommen werden, wie es die individuellen anatomischen Strukturen zulassen. Dabei sollte ein leichter Dehnungsreiz spürbar sein. Es bedeutet auch, dass dem Körper genug Zeit und Raum gegeben wird, langsam in der Position anzukommen, ohne ihn in diese hineinzuzwingen. Im Yin Yoga werden mehr Hilfsmittel als gewöhnlich eingesetzt (Bolster, Blöcke, Decken, etc.), die Dich darin unterstützen, jegliche muskuläre Anspannung komplett loszulassen. Nur so kann sich die Praxis positiv auf Energiebahnen, Organe und Faszien auswirken. Der Effekt des Yin Yogas ist umso größer, je weniger die Muskeln aufgewärmt sind. Natürlich solltest Du dabei sehr sanft und behutsam vorgehen, indem Du Dich langsam den Widerständen des Körpers annäherst und Dich dann immer weiter in die Position sinken lässt. Die Atmung fließt während der Praxis natürlich ein und aus.
Yin Yoga entspannt Körper und Geist, fördert die Beweglichkeit, ist ein geeignetes Faszientraining und wirkt sich positiv auf Rückenschmerzen und Stress aus. Die meditative und ruhige Natur des Yin bietet Dir eine kraftvolle Gelegenheit, nach „Innen“ zu gehen und Dich im Loslassen zu üben. Insbesondere in Zeiten von Erschöpfung, Überbelastung und Unruhe kann Yin Yoga eine wertvolle Übungspraxis bieten. Das lange Halten der Asanas bewirkt eine Harmonisierung des Energieflusses (Qi-Fluss). Wenn Du dazu neigst, wenig Energie zu haben, kannst Du Deinen Energiefluss mit einem entsprechenden Yin Yoga Übungsplan anregen. Wenn Du ständig vor lauter Energie sprudelst, was laut des Yin-Yang-Prinzips für Deinen Körper Stress bedeuten kann, dann kann Yin Yoga helfen, den Qi-Fluss auszubalancieren. Ein gut aufgebauter Yin Yoga Übungsplan sollte Dir Ruhe und Energie zugleich bringen. Um das Beste aus Deiner Praxis herauszuholen ist es wichtig, die Signale des Körpers zu deuten und sie ernst zu nehmen - es gilt die natürliche Körperintelligenz zu respektieren.
Was ist der Unterschied zwischen Yin & Vinyasa?
Die in der westlichen Welt beliebten und bekannten Yogastile wie Vinyasa Yoga, Power Yoga oder Ashtanga Yoga sind oft Yang orientiert. Der Fokus liegt auf der Stärkung der Muskulatur und die Sequenzen werden aktiv und kraftvoll ausgeübt. Im Yin Yoga hingegen liegt der Fokus vor Allem auf den Faszien und die Asanas werden passiv und ganz ohne Kraft ausgeführt. Yin Yoga steht also nicht in Konkurrenz zu anderen Yogastilen, sondern bildet eine geeignete Ergänzung.
Was bewirkt Yin Yoga?
Obwohl es ich um eine sehr sanfte Praxis handelt, ist die Wirkung sehr kraftvoll: Auf körperlicher Ebene wirkt Yin Yoga Verspannungen entgegen und sorgt für mehr Bewegungsfreiheit, geschmeidigere Gelenke sowie flexibleres Bindegewebe. Auf geistiger und mentaler Ebene wirkt Yin Yoga ähnlich wie die Meditation: Während der lang gehaltenen Asanas kommt der Geist zur Ruhe und Du lenkst Deine Aufmerksamkeit verstärkt auf Dich, Deinen Körper, Deine Gedanken und Deine Gefühlswelt.
Yin Yoga schafft Raum für Erfahrungen und bietet Dir einen Zugang zur Selbstreflexion, Selbstentwicklung und persönliches Wachstum. Während der Praxis wird Dein Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment geschult. Du lernst, Abstand zu Deinen Gedanken, Emotionen und Gefühlen zu gewinnen, Dich nicht mit ihnen zu identifizieren oder Dich in ihnen zu verlieren. Du lernst, zu erkennen, dass Du immer eine Wahl hast, wie Du auf all die auftauchenden Empfindungen reagieren möchtest. In dem Du Deine Wahlmöglichkeiten erkennst, bist Du in der Lage mehr und mehr Verantwortung über Deine Gedanken, Deine Gefühlswelt, Deine Handlungen und Deine Reaktionen zu übernehmen, sodass Du empathischer und achtsamer mit Dir und Deiner Umwelt interagieren kannst. Das „Ausharren“ in den Positionen kann sich lohnen, da es Dir hilft zu erforschen, was hinter den Emotionen steckt und gleichzeitig ruhig zu bleiben. Wenn Du lernst, mit schwierigen Situationen auf Deiner Matte umzugehen, kann sich dies auch in Deinem Alltag wiederfinden – denn hier erlangt Yoga seine eigentliche Wirkung…
Ist Yin Yoga für Anfänger geeignet?
Yin Yoga ist sowohl für Anfänger/-innen als auch für länger Übende geeignet. Das lange Halten der Positionen kann grade bei Anfängern zur Langeweile oder Unruhe führen und somit sehr herausfordernd sein (je ruhiger es wird, desto lauter werden die Gedanken). Je länger man übt, desto länger können die Positionen gehalten werden und desto mehr lernt man auch, die mentalen und geistigen Prozesse zu schätzen. Vermeide es, Dich mit anderen zu vergleichen, da jeder Körper anders und einzigartig ist. Das Ausschlaggebende ist, dass die Dehnung im eigenen Körper erreicht wird, denn sobald der Dehnungsreiz ankommt, setzt der Effekt von Yin Yoga ein, egal wie weit Du in die Position hineinkommst. Solltest Du noch nie Yin Yoga praktiziert haben, empfehle ich Dir, zunächst einmal unter Anleitung eines erfahrenen Yin Yoga Lehrers zu üben.
Ich wünsche Dir viel Freude beim Üben und Erforschen. Genieß das kraftvolle und magische Nachklingen, welches die Yin-Praxis mit sich bringt. In unserer zunehmend schnelllebigen und hektischen Welt, in der das Gedankenkarussell selten zum Stillstand kommt, kann Dir das „Nichts-tun-Müssen“ eine tiefe und wohltuende Erholung und bieten.
Im Folgenden findest Du Tipps und Literatur-Empfehlungen, um Deine Yin-Yoga Reise zu beginnen oder fortzuführen:
- Paul Grilley, Yin Yoga – Principles and Practice
- Bernie Clark, Das große Yin Yoga Buch
- Stefanie Arend, Yin Yoga – der sanfte Weg zur inneren Mitte
- Sarah Powers, Insight Yoga
- Shaunnekas Youtube Channel
- Yin Yoga-Videos, z.B. von Rene Hug auf yogaeasy.de
Über Annika Klein
Annika Klein arbeitet mit ihrem Hintergrund als Sportwissenschaftlerin (M.A Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsmanagement) als Tutorin an der Deutschen Sportakademie. Hier betreut sie die Studenten der Life Balance und Fitness Weiterbildungen. Sie bringt zahlreiche Erfahrungen als Fitness- und Gesundheitstrainerin mit und ist passionierte Yoga-Lehrerin. Als begeisterte Hobby-Breitensportlerin findet man sie in ihrer Freizeit vor Allem draußen im Grünen, sei es beim Laufen, Fitness, Tennis, Schwimmen oder Beachvolleyball.